Bottroper Vonovia-Mieter: Extreme Nachzahlungen

In Bottrop-Welheim sollen etliche Mieter Heizkosten nachzahlen - teilweise mehrere tausend Euro. In der Gartenstadt regt sich Widerstand. Wer Schuld hat, was ihr in einem solchen Fall tun könnt - und wozu ein Anwalt für Mietrecht rät.

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Zusammengefasst: Worum geht es?

  • In Bottrop-Welheim sind am Mittwochabend rund 300 Vonovia-Mieter aus der Gartenstadt in der Aula der Hauptschule zusammengekommen.
  • Sie sind der Meinung, zu hohe Forderungen für Heizkostennachzahlungen von ihrem Vermieter Vonovia bekommen zu haben.
  • Vonovia ist nach eigenen Angaben nicht für die hohen Kosten verantwortlich und verweist auf Techem - ein Unternehmen, das die Fernwärmeversorgung sicherstellt und auch abrechnet. Vonovia habe selbst über 300.000 Euro Nachzahlung leisten müssen und diese Summe an die Mieter weitergegeben.
  • Techem begründet die teils um das 3,5-fach höheren Arbeitspreise mit der Lage auf dem Markt und den Beschaffungspreisen. Von einem weiteren Anstieg sei aber nicht auszugehen - im Gegenteil.
  • Ein Anwalt vom Mieterbund Rhein-Ruhr rät: Nicht zahlen, Einspruch einlegen und das Lastschriftmandat entziehen.
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Was sagen die Betroffenen?

Die Stimmung am Mittwochabend in der Aula der Hauptschule Welheim ist aufgeheizt. Über 300 Vonovia-Mieter sind zusammengekommen, viele haben ihre Rechnungen dabei. Immer wieder wird es laut, rufen Anwohner dazwischen, schütteln den Kopf. Eingeladen hatten Christian Gronau und Mathias Buschfeld aus der SPD Boy/Welheim. Mit dabei unter anderem: Rechtsanwalt Stefan Salecker vom Mieterbund Rhein-Ruhr, Vertreter des Sozialamts der Stadt und Sozialdezernentin Karen Alexius-Eifert. Auch ein Vonovia-Vertreter war eingeladen - hatte aber abgesagt. Als das verkündet wird, bricht kurz Gelächter im Saal aus. Die Welheimer wollen sich in erster Linie vernetzen. Denn sie alle eint das gleiche Schicksal: Sie sollen teils mehrere tausend Euro Heizkosten für den Zeitraum 1. April 2021 bis 31. März 2022 nachzahlen. Mehrere Rechnungen liegen uns vor.

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Zum Beispiel die von Sabine Dosreis. Vonovia stellt ihr 3.374,99 Euro Nachzahlung in Rechnung - allein für Heizung und Warmwasser. Vorauszahlungen hatte sie bereits 2.784 Euro geleistet. Macht Gesamt-Heizkosten von 6.158,99 Euro für ein Jahr. "Da konnten wir nicht mehr viel denken. Das waren einfach nur Zahlen, die utopisch sind. Ich muss am Ende auch noch was im Kühlschrank haben", sagt die Bottroperin, die mit ihrem Mann und einer 16-jährigen Tochter in Welheim lebt.

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Da steckt Absicht hinter.

Auch Frank kann das bestätigen. Er ist in Welheim geboren und lebt seit 38 Jahren in seiner Wohnung. Bei ihm lag die Nachzahlungsforderung bei knapp 2.300 Euro. Im vergangenen Jahr hat er nach eigenen Angaben noch 1.150 Euro zurückbekommen. In der Heizperiode, um die es jetzt geht, habe er sogar etwas weniger geheizt, sagt er. "Wir fühlen uns einfach nur noch abgezockt und können uns nicht erklären, wie der Preis zustande kommt", sagt Frank, der hinter den horrenden Nachzahlungen volle Absicht vermutet - und die Schuld bei Vonovia sieht. "Die Vonovia weiß, dass es nicht bezahlbar ist. Da steckt Absicht hinter, so sehen wir das. Und deshalb gehen wir massiv und geschlossen dagegen vor."

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Da stinkt was gewaltig.

SPD-Mann und Mitinitiator der Bürgerversammlung Christian Gronau lebt seit vier Jahren ebenfalls in der Gartenstadt in einer Vonovia-Wohnung. Die Forderung auf seiner Rechnung: 3.200 Euro. "Das ist auch für zwei Normalverdiener leider nicht tragbar". In den vier Jahren habe er noch keine Betriebskostenabrechnung gesehen, die keine Fehler gehabt habe. Eines steht für ihn fest: "Da stinkt was gewaltig." Die Bürgerversammlung soll die Betroffenen zusammenbringen - aber auch Lösungen aufzeigen, wie es weitergeht.

Was sagt Vonovia?

Woran liegen die extremen Kostensteigerungen bei Fernwärme (Heizung und Warmwasser) in Welheim eigentlich? Ein genauerer Blick in die Rechnungen zeigt: Während der Grundpreis für die Fernwärme relativ stabil geblieben ist, ist das beim Arbeitspreis pro Megawattstunde ganz anders. 2019/2020 lag er bei 52,44 Euro, 2020/2021 bei 57,06 Euro und 2021/2022 bei 190,63 Euro pro Megawattstunde. Das entspricht ungefähr einer Steigerung um das 3,5-fache. Üblich waren in Deutschland 2022 laut Energieeffizienzverband für Wärme, Kälte und KWK etwa 120 Euro pro Megawattstunde.

Wir haben Vonovia mit der Kritik der Anwohner konfrontiert. Das Unternehmen antwortet: Es handele sich um eine Contracting-Anlage. Vonovia betreibt die Heizung also nicht selbst, sondern hat diese Aufgabe an die Techem Solution GmbH ausgelagert. Die Firma aus Hessen tritt als Versorger und Wärmelieferant auf, schreibt Vonovia. Vonovia gehe in Vorleistung und gebe die entstandenen Kosten dann an die Mieter weiter. Es habe demnach "keine Hinweise seitens Techem auf Preissteigerungen in der nun vorliegenden Größenordnung" gegeben. Vonovia selbst habe 300.000 Euro nachzahlen müssen - und dies dann an die Mieter weitergegeben. Die Verbräuche seien größtenteils auf ähnlichem Niveau wie in den Vorjahren.

Vonovia sei "bewusst, "dass diese Situation viele unserer Mieter vor immense finanzielle Herausforderungen stellt", daher habe man "bereits mit der Abrechnung Hilfsangebote (Ratenzahlungsvereinbarung etc.) unterbreitet".

Was sagt Techem?

Wir fragen bei Techem nach, was der Grund für die gestiegenen Preise bei der Fernwärme ist. Techem begründet die Steigerungen mit der Marktsituation und der Großhandelspreise für Erdgas. Diese Kosten seien schon vor dem Ukraine-Krieg, also im 4. Quartal 2021, spürbar angestiegen. Dazu komme die neue CO2-Besteuerung für Brennstoff, die Erdgas seit dem 1. Januar 2021 um 25 Euro je Tonne CO2 verteuere. Die Preise für die Wärmeversorgung basierten demnach "auf den jeweiligen Preisgleitformeln aus dem entsprechenden Wärmeliefervertrag".

Die Arbeitspreise könnten nicht mit den Durchschnittspreisen aus der Statistik des Energieeffizienzverbands für Wärme, Kälte und KWK verglichen werden. Denn die "individuelle Nahwärmelösung ist in diesem Fall wesentlich abhängiger von den Schwankungen der Großhandelspreise für Erdgas".

Allerdings: Für die Zukunft geht Techem eher von sinkenden Preisen aus. "In der Folge werden wir natürlich auch die monatlichen Abschlagsbeträge für unsere Kunden deutlich nach unten korrigieren". Und weiter: "Die Information zur Reduzierung der Abschläge ab April 2023 erfolgt in den nächsten Tagen."

Vonovia und Techem stünden in einem konstruktiven Dialog, um eine "gute Lösung für alle beteiligten Parteien herbeizuführen". Konkretes teilt Techem aber nicht mit. Den Mietern empfehle man, "in einen offenen Dialog zu treten und gemeinschaftlich auf eine für alle Parteien gute Lösung hinzuwirken".

Was sagt ein Fachanwalt?

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Rechtsanwalt Stefan Salecker ist Fachanwalt für Mietrecht - und seit 1997 als Anwalt tätig. Für den Mieterbund Rhein-Ruhr berät er Mieter, die fehlerhafte Nebenkostenabrechnungen vermuten. Er war bei der Bürgerversammlung in Bottrop-Welheim ebenfalls vor Ort, um zu helfen. Fehlerhafte Abrechnungen sehe er viele, sagt er, aber "dass eine derartig große Kostensteigerung den ganzen Stadtteil auf einmal erfasst", das habe er in 25 Jahren noch nicht erlebt. Es spreche manches dafür, dass die Gründe für die gestiegenen Energiekosten "rechtlich anfechtbar" seien, sagt er - allerdings könne man das auch nicht pauschal sagen. Daher rät er von gemeinschaftlichen Schreiben an die Vonovia eher ab. Denn jeder müsse letztlich selbst sein Recht und seine Ansprüche durchsetzen.

Für die betroffenen Mieter in Bottrop-Welheim sind das die wichtigsten Schritte laut Rechtsanwalt Stefan Salecker:

  • Konkrete Einwendungen erheben - das Argument "Die Kosten sind zu hoch" reicht nicht aus.
  • Die Zahlungsermächtigung erst einmal widerrufen.
  • Vonovia anschreiben und Rechnungsbelege und evtl. auch Überweisungsbelege anfordern.
  • Prüfen, ob das sog. "Wärme-Contracting" im Mietvertrag vereinbart wurde, also die Erlaubnis, dass Vonovia einen Dritten mit der Wärmebelieferung beauftragen darf.
  • Einsicht in die Lieferverträge fordern.
  • Die neuen Abschläge kontrollieren: Wurde darin bereits die Energiepreisbremse berücksichtigt? Die Energiepreisbremse gilt rückwirkend ab Januar dieses Jahres. Fernwärme ist dadurch auf 9,5 Cent pro Kilowattstunde gedeckelt.
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Grundsätzlich rät Mietrechtsanwalt Stefan Salecker zum Besuch beim Anwalt. Auch der Mieterbund Rhein-Ruhr ist in Bottrop vertreten.

  • Horster Str. 26-28, 46236 Bottrop
  • Montag 14-17 Uhr, Dienstag 12-15 Uhr, Mittwoch 9-12 Uhr
  • Bottrop@mieterbund-rhein-ruhr.de
  • 02041 17 27 85 3
  • Zentrale (Duisburg): 0203 3951 5435

Das Sozialamt der Stadt Bottrop weist darauf hin, dass eventuell Anspruch auf Sozialleistungen besteht - auch für Erwerbstätige sind finanzielle Hilfen möglich. Erberbstätige sollen sich an das Jobcenter wenden, ansonsten an das Sozialamt.

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