Gladbecker Bäume ohne Blätter - das steckt dahinter

Kaputte Bäume ohne Blätter an einem Neubaugebiet in Gladbeck sorgen für Aufregung. Unsere Recherche zeigt, was dahintersteckt - und wie es jetzt weitergeht.

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Anonymer Brief bringt uns auf die Spur

Unsere Recherche beginnt vor gut drei Monaten mit einem anonymen Schreiben bei uns im Redaktionsbriefkasten. Darin der Hinweis auf offensichtlich nicht gesunde Bäume an einem Industriegebiet in Gladbeck-Alt-Rentfort. Wir fahren an die Heinrich-Hertz-Straße ins Neubau- und Industriegebiet. Und tatsächlich: Mehrere Bäume tragen mitten im Sommer keine Blätter. Dazu gibt es rund um die Neubaufläche modrig riechende und schimmernde Pfützen.

Die Baufläche in Alt-Rentfort, um die es geht.© Radio Emscher Lippe
Die Baufläche in Alt-Rentfort, um die es geht.
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Erste Antworten des Bauunternehmens lassen Fragen offen

Wir nehmen Mitte Juni Kontakt mit dem zuständigen Bauunternehmen auf, das die Fläche dort aufgeschüttet hat und für den weiteren Bau vorbereitet. Ein Projektmanager schreibt uns auf Anfrage: "Der Geruch kommt von seitlich an der Aufschüttung gelagerter Grasnarbe, welche unter den aktuellen klimatischen Bedingungen zu verrotten beginnt. Dies stellt einen natürlichen Vorgang dar." Über die Ursache der Pfützen könne man noch keine Auskunft geben. Man habe einen Bodengutachter mit der entsprechenden Prüfung beauftragt.

Ein Verdacht: Die Fläche sei zuvor wohl als illegale Müllhalde missbraucht worden. Die Firma habe drei Container voll Müll, unter anderem Reifen und Altölkanister, wegschaffen müssen. Daher könne man sich noch kein abschließendes Urteil zutrauen.

Zur Frage, wie sich das Unternehmen die offensichtlich kranken Bäume direkt neben der Fläche erklärt, erhalten wir keine Antwort.

Am Rande der Baufläche haben sich Pfützen gebildet.© Radio Emscher Lippe
Am Rande der Baufläche haben sich Pfützen gebildet.
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Mitte Juli: Erste Kontroll-Ergebnisse sind da

Auch der Kreis Recklinghausen wird - nicht zuletzt durch unsere Recherchen - auf das Baumsterben in Alt-Rentfort aufmerksam. Und verspricht, jetzt genau hinzuschauen. Im Beisein des Kreises nimmt ein vom Bauunternehmen beauftragter Gutachter Boden- und Wasserproben. Mitte Juli sind die Ergebnisse da. Radio Emscher Lippe konnte exklusiv mit dem Gutachter telefonieren. Laut ihm sei im Sickerwasser an der Baustelle ein erhöhter Salzgehalt festgestellt worden. Allerdings gebe es dafür keine gesetzlichen Grenzwerte. Im Boden hingegen seien die Werte im gesetzlichen Bereich gewesen.

Spätestens Anfang August liegen diese Ergebnisse wohl auch dem Kreis Recklinghausen vor. Er spricht in der Wasserprobe von einem "stark erhöhten Salzwert". Ob das die Ursache für die kahlen Bäume sei, sei damit aber noch nicht eindeutig zu sagen. Man warte auf weitere Bodenproben, die das Bauunternehmen auch aus tieferen Schichten entnommen habe.

Ursache steht offenbar schon früh fest

Schon zu diesem Zeitpunkt, also Ende Juli/Anfang August, steht für den Gutachter, mit dem wir sprechen konnten, aber offenbar fest: Das Salz ist der Grund für die kahlen Bäume ohne Blätter. Der Gutachter versichert uns am Telefon, ein kausaler Zusammenhang sei klar. Das liege an der Struktur der Fläche, die aktuell für den Neubau vorbereitet wird. Demnach wurde unten eine Art Wasser-Stauschicht eingebaut, darüber rund zwei Meter Schlacke mit Sulfat und Chlorid (Salz). Durch die heftigen Regenfälle ist die Stauschicht überschwemmt worden, das Wasser habe sich in der Schlacke-Schicht gestaut und sich mit Salz vollgesogen. Weil an den Seiten keine Begrenzung eingearbeitet gewesen sei, sei das salzige Wasser seitlich ausgesickert und konnte zu den Wurzeln der Bäume gelangen.

Das salzige Wasser gelangt an die Bäume.© Radio Emscher Lippe
Das salzige Wasser gelangt an die Bäume.
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Missverständnis zwischen Kreis und Gladbecker Unternehmen?

Der Kreis will allerdings auf tiefergehende Bodenproben warten, die das Bauunternehmen selbst entnommen habe. Allerdings: Auf Nachfrage weiß der zuständige Gutachter davon nichts. Eine zweite Proben-Entnahme nach den starken Regenfällen im Sommer habe es nicht gegeben, sagt er uns am Telefon. Und auch das Bauunternehmen kann auf nochmalige Nachfrage nicht mehr eindeutig sagen, ob es eine oder zwei Proben-Entnahmen gegeben hat. So wartet der Kreis nach unseren Informationen vergeblich auf weitere Ergebnisse - die aber nie kommen.

Irgendwann entschließt sich dann der Kreis, eigene Proben zu nehmen. Weitere Zeit geht ins Land, ohne dass sich an der Heinrich-Hertz-Straße etwas tut.

Möglicherweise könnte ein Missverständnis der Auslöser sein. Laut Gutachter habe es schon vor einiger Zeit eine sehr ausführliche Untersuchung gegeben - eine Baugrunduntersuchung mit 21 Kontrollproben, die alle in Ordnung gewesen seien. Diese waren laut Gutachter Anfang Mai an das Bauunternehmen geschickt worden. Das habe sie dann an die Stadt Gladbeck und den Kreis Recklinghausen weitergeschickt. Möglicherweise sah das Unternehmen seine Pflicht damit erledigt - während der Kreis noch auf weitere Untersuchungen wartete. Endgültig rekonstruieren lässt sich das für uns aber nicht.

Das sagt ein Experte zur Lage an der Heinrich-Hertz-Straße

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Manuel Rottmann ist staatlich geprüfter Fachagrarwirt für Baumpflege und Baumsanierung. Wir treffen uns mit ihm direkt am Ort des Geschehens - an der Heinrich-Hertz-Straße. Ihm ist wichtig: Bäume sind komplexe Wesen und anders, als sie in Sach- oder Kinderbüchern dargestellt werden. Ein Baum bestehe nicht nur aus dem Stamm, sondern sei ein komplexes Gebilde aus Wurzelreich, Stamm und Krone. Eine Sofortdiagnose kann er nicht stellen, aber sein erster Eindruck ist: "Den Bäumen geht's gar nicht gut hier."

Ursachen dafür kämen viele in Frage, sagt Rottmann. Auch zu viel Salz könne ein Faktor sein. "Dauerhaft zu viel Salz schädigt die Wurzeln und sorgt dafür, dass im Extremfall die Wurzeln absterben und der Baum verhungert oder verdurstet." Es sei "bemerkenswert", dass insbesondere die Bäume der einen Straßenseite "deutlich an Vitalität verlieren" - also genau auf der Seite, auf der sich das Baugrundstück mit den Salz-Pfützen befindet.

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Wie geht es in Gladbeck jetzt weiter?

Sowohl Kreis Recklinghausen als auch das Gladbecker Bauunternehmen beteuern, die Fläche so schnell wie möglich versiegeln zu wollen. Das bedeutet, eine feste Schicht wird eingebaut, so dass Regenwasser nicht mehr einsickert, sondern abfließt. So kann es sich nicht mit Salz vollsaugen. Wann das passiert, ist aber offen. Nach unseren Informationen dürfte es mehr als nur ein paar Tage dauern, bis mit den Arbeiten begonnen wird. Das Unternehmen wartet nach eigener Aussage auf die Freigabe durch die Stadt Gladbeck.

Und auch eine Lösung oder ein Ersatz für die kaputten Bäume an der Heinrich-Hertz-Straße steht noch aus. Nach unseren Recherchen wollen sich Unternehmen und Kreis in der übernächsten Woche zusammensetzen und beraten, wie es weitergeht.

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