Hilfskonvoi für die Ukraine - Reportage

Am Dienstagmittag (8. März) ist ein Hilfskonvoi aus Gelsenkirchen an die polnisch-ukrainische Grenze gestartet, um Spenden vorbeizubringen und Geflüchtete mit nach Deutschland zu bringen. Unsere Reporter Leon Pollok und Jan Schmitz waren mit dabei, um über die Arbeit der Helfer, die Situation vor Ort und die Erlebnisse der Kriegsflüchtlinge zu berichten. Hier sind ihre Eindrücke.

© Radio Emscher Lippe / Leon Pollok

Der Konvoi rollt

Die Hilfsbereitschaft für die Ukraine ist nach wie vor in Gladbeck, Bottrop und Gelsenkirchen sehr groß. Regelmäßig machen sich Hilfskonvois an die polnisch-ukrainische Grenze, um zu helfen. Auch die Gelsenkirchener Firma Medishop hat innerhalb weniger Tage 36 Paletten voller Hilfsmittel gesammelt: Hygieneartikel, Wasser, Nahrung.

Der Konvoi besteht aus 13 Fahrzeugen mit knapp 30 Freiwilligen. In den Kleinbussen sind außerdem Decken, Kuscheltiere und Spielzeug. Denn: Die Gelsenkirchener wollen vor Ort nicht nur Hilfsgüter spenden, sondern auch Geflüchtete mit nach Gelsenkirchen in Sicherheit bringen. An der Grenzstadt Przemysl in Polen sollen auch viele Kinder ankommen. Am Dienstagnachmittag gegen 14 Uhr setzte sich der Hilfskonvoi von der Veltins-Arena aus in Bewegung.

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1300 km in Richtung Ukraine

Die Kolonnen-Fahrt führt über Hessen, Thüringen, Sachsen-Anhalt, Sachsen bis nach Polen. Als der Konvoi die polnische Grenze überquert, wird mit zunehmender Dunkelheit auch das Wetter schlechter. Die Temperatur sinkt unter den Gefrierpunkt, es fängt an zu schneien. Die letzten Kilometer bis zum Ziel fahren die Freiwilligen über eine schneeglatte Fahrbahn. Je länger die Fahrt dauert, desto konzentrierter wird die Stimmung. Gegen 6 Uhr kommen die Helfer auf einem einsamen Parkplatz vor der Stadt Przemysl an. Eine Stunde wollen sie ruhen, bis es dann direkt an die Grenze gehen soll.

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Ankunft an der Grenze

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Gegen 8 Uhr am Mittwochmorgen kommt der Konvoi in Przemysl an. Auf dem Weg Richtung Grenze ist viel Polizei unterwegs. Krankenwagen fahren immer wieder die lange Einfahrtsstraße entlang. Uns kommen viele weiße Kastenwagen entgegen, einige davon sind voll mit Kindern - vermutlich Geflüchtete, die an einen anderen Ort gebracht werden sollen. An einer Spedition möchte das Gelsenkirchener Hilfsteam eigentlich einen LKW mit Spenden ausladen - aber wegen fehlender Papiere verzögert sich das.

Wir werden auf einen Supermarkt-Parkplatz geschickt. Dort stehen LKW und Transporter Schlange, um entladen zu werden. Die Solidarität in ganz Europa ist groß: Wir sehen Kennzeichen aus Litauen, Italien, England und auch viele Wagen aus Deutschland. Auf der anderen Seite des Supermarktes herrscht Chaos: Hier ist die Anlaufstation für Geflüchtete aus der Ukraine. Immer wieder kommen Menschenmengen aus der Halle raus, meist sind es Frauen mit Kindern. Viel Gepäck gibt es nicht: Die meisten haben nur einen Rucksack oder kleinen Koffer bei sich. Auf dem Parkplatz sind Zelte aufgebaut, immer wieder fahren Polizeiautos durch die Menschenmenge, auf dem Rasen liegen Kleidungsstücke einfach auf dem schnee-matschigen Rasen.

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Geflüchtete werden aufgenommen

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Doch die Aufnahme von Geflüchteten gestaltet sich schwieriger als gedacht. Mehr als sechs Stunden wartet der Konvoi. Der Grund: Die Lage ist unübersichtlich und die Behörden vor Ort offenbar überfordert. Jeder Fahrer, der Geflüchtete wegbringen will, braucht eine Registrierung. Damit wollen die Verantwortlichen an der Grenze wahrscheinlich verhindern, dass die Geflüchteten in schlechte Hände oder gar an Kriminelle übergeben werden.

Um 16 Uhr dann ein Funkspruch in unseren Kleinbus: "Ihr bekommt vier Leute". Wenige Minuten später stehen sie vor uns: Mazyna, 24 Jahre alt, zusammen mit ihrer Großmutter Aleitina, 73 Jahre alt. Viktoria, 30 Jahre, hat Mazyna im Zug kennengelernt und ist genau wie Hasan, 59, mit an Bord. Die meisten sind direkt aus Kiew geflohen, haben dort zwei Stunden am kalten Bahnhof warten müssen. Die Zugfahrt nach Lwiw nahe der Grenze im völlig überfüllten Zug habe mehr als acht Stunden gedauert, sie hatten keinen Sitzplatz. Ein weiterer Zug brachte die Ukrainer nach Przemysl in Polen.

Vor allem Großmutter Aleitina ist schwach. Sie kann nicht reden, ist am Zittern. Sie ist völlig unterkühlt und braucht Wasser. Die Gelsenkirchener Helfer wickeln sie in Decken ein, geben ihr Wasser, bieten Essen an. Auch mit Datenvolumen werden die Geflüchteten versorgt, denn ihre SIM-Karten funktionieren in der EU nicht. Dann geht sie los, die Reise nach Gelsenkirchen. Insgesamt ist der Konvoi jetzt mit 45 Geflüchteten unterwegs. Fast alle Sitzplätze sind belegt.

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Rückreise nach Gelsenkirchen

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Fast 18 Stunden dauert die Rückreise nach Gelsenkirchen. Pausen machen wir nur wenige: Die Geflüchteten in unserem Kleinbus schlafen bis zum Sonnenaufgang. Danach fangen sie an, mehr zu sprechen: Mazyna erzählt, dass sie Freunde in der Schweiz hat und dorthin will. Ihre Großmutter soll nach Hamburg, dort habe sie Bekannte. Mazynas Eltern sind in der Ukraine geblieben. Ihr Vater hilft der Armee. Und ihre Mutter will ihren Mann nicht alleine lassen. Sie erzählt, dass sie auf einen Neuanfang in Kiew hofft - irgendwann, auch wenn das Land völlig zerstört ist. Hasan, 59 Jahre alt, erzählt, er sei schon 2014 aus dem ukrainischen Osten fliehen müssen. Vor einigen Tagen habe er von seinem Balkon gesehen, wie das Atomkraftwerk Saporischschja beschossen wurde.

Das Ziel des Konvois ist das Ambient-Hotel zum Schwan in Gelsenkirchen-Buer. Dort gibt es frisch hergerichtete Zimmer für die Geflüchteten, ein Frühstück, Dolmetscher und Beschäftigungsmöglichkeiten für die Kinder. Gegen 11 Uhr am Donnerstag werden sie dort in Empfang genommen. Kurze Zeit später schicken Helfer Fotos von spielenden Kindern und lächelnden Menschen in die WhatsApp-Gruppe. Knapp 48 Stunden war der Hilfskonvoi unterwegs, um zu helfen.

Die Hilfsbereitschaft reist auch am nächsten Tag nicht ab: Ein Helfer, der auch Trainer bei einem Sportverein ist, bietet ein extra Spielangebot für die Kinder an. Am nächsten Tag will das Team einen Besuch in der Zoom Erlebniswelt organisieren. Es gibt Kleidung, Zahnbürsten, SIM-Karten - und vor allem: ein Stück Geborgenheit und Ruhe.

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Die ganze Reise auf Instagram

Hier könnt ihr die ganze Reise des Gelsenkirchener Hilfskonvois von Beginn an über Instagram verfolgen.

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