Selbstversuch: Wie leicht kommt man an gefälschte Impfpässe?

Wir spüren Telegram-Chatgruppen auf, in denen massenhaft Impfpässe angeboten werden. Mit einem der Betrüger können wir sogar telefonieren.

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Worum geht's?

Seit November vergangenen Jahres geht ohne das gelbe Heftchen oder den QR-Code quasi nichts mehr im öffentlichen Leben. Die 2G-Regel für Kultur, Freizeit und Einzelhandel wurde eingeführt - und damit der Druck auf Ungeimpfte deutlich erhöht. Seitdem hören wir immer wieder von Menschen, die gefälschte Impfpässe benutzen, um ins Restaurant oder zum Shoppen zu gehen. Wir wollen wissen: Wie groß ist das Problem bei uns in Gladbeck, Bottrop und Gelsenkirchen wirklich? Und wie leicht ist es für uns, an so einen gefälschten Impfpass heranzukommen? Wir machen den Selbstversuch.

Das sagt die Polizei zu gefälschten Impfpässen

Die Polizeipräsidien in Gelsenkirchen und Recklinghausen sagen, dass die Zahl der Anzeigen wegen gefälschter Impfdokumente zunimmt, seit die 2G-Regel in vielen Bereichen bei uns gilt. Beispiel Bottrop: Im Juli 2021 gab es nur eine einzige Anzeige wegen gefälschter Impfdokumente, im Oktober und November schon jeweils fünf, im Dezember sieben und im Januar 2022 ebenfalls sieben Anzeigen.

Brisant: Die Gelsenkirchener Polizei bestätigt uns, dass sie auch gegen Personen aus dem Gesundheitswesen ermittelt, also z. B. gegen Mitarbeiter von Krankenhäusern oder Apotheker.

Grundsätzlich ist das Fälschen eines Corona-Impfausweises strafbar. Ende November 2021 ist ein Gesetz in Kraft getreten, das sowohl das Anfertigen und Ausstellen als auch das Benutzen solcher gefälschten Impfdokumente strafbar macht.

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Wir machen den Selbstversuch

Wir wollen wissen: Wie leicht ist es für uns als Laien, an einen gefälschten Impfpass heranzukommen? Wir wissen, dass das Geschäft mit solchen Betrügereien vor allem auf Telegram boomt. Das ist eine Chat-Plattform, auf der man anonym Gruppen beitreten oder sich mit fremden Menschen unterhalten kann. Telegram wirbt offensiv mit seiner Anonymität und Sicherheit: Es gibt Geheimchats mit Nachrichten, die sich selbst zerstören. In Gruppen können bis zu 200.000 Mitglieder eintreten. Es muss kein Name angegeben werden und auch die Nummer kann geheim bleiben. Deshalb benutzen Betrüger und Impfgegner die Plattform, um sich auszutauschen und Straftaten zu begehen.

Um das System zu verstehen und einen Einblick zu bekommen, schleusen wir uns selbst mehrere Tage in verschiedene impfkritische Telegram-Gruppen ein.

1. Schritt: Anmeldung und erste Übersicht

Wir melden uns bei Telegram an - ohne Namen, ohne Profilbild, ohne Handynummer. Wir sind komplett anonym. In der Suchleiste geben wir einige Stichwörter ein: "Impfpass", "Impfzertifikat" oder auch einfach nur "Corona". Sofort wird uns eine Übersicht verschiedener Chatgruppen oder Kanäle angezeigt, die klar impfkritisch sind. Sie sind öffentlich, das heißt, man kann sogar ohne Anmeldung sehen, was die Mitglieder darin schreiben.

In einer lokalen Gruppe, in der immer wieder zu den Montagsdemonstrationen der Maßnahmenkritiker aufgerufen wird, schreibt ein User: "Würden WIR gemeinsam eine neue "Religionsgemeinschaft gründen, die sich für Menschenrechte, Frieden, Freiheit, usw. einsetzt, und sich nach dieser Religion niemand impfen lassen muss/"darf" weil es den Körper verunreinigt - ...da wären wir sogar ganz besonders durch das Grundgesetz und durch Menschenrechte geschützt!!!"

Aber Angebote für gefälschte Impfzertifikate finden wir in diesen Gruppen noch nicht. Dafür gibt es spezielle Kanäle bzw. Kontakte. Auch diese sind einfach über die Suchfunktion zu finden.

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2. Schritt: Die Kontaktaufnahme

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Wir probieren es bei einigen einschlägigen Kanälen und fragen unter dem "Stichwort Impfzertifikat" an, was wir tun sollen. Bei einigen Kontakten reicht sogar lediglich ein Code-Wort aus. Keine Begrüßung, kein Kennenlernen. Wir sollen unsere Daten angeben und Geld per Kryptowährung, z. B. Bitcoin, überweisen. Meist liegen die Kosten bei ca. 200 bis 250 Euro. Sobald das Geld da ist, bekommen wir den QR-Code des europäischen Impfzertifikats zugeschickt. Ohne einen einzigen Besuch beim Arzt oder in der Apotheke.

Die Betrüger geben auf Nachfrage an, Ärzte, Apotheker oder Mitarbeiter in solchen Einrichtungen zu sein. Deshalb hätten sie Zugriff auf die Computersysteme, mit denen so ein Impfzertifikat ganz einfach erstellt werden könne. Einige Profile werben unter einem Klarnamen für ein gefälschtes Impfzertifikat. Darunter sind auch Ärzte aus Oberhausen oder Dortmund. Ob es sich bei den Kontakten tatsächlich um diese Ärzte handelt, lässt sich für uns aber nicht überprüfen.

Wir wollen auch persönlich mit einem Betrüger ins Gespräch kommen und probieren es mit einem Aufruf in einer impfkritischen Gruppe. Ob uns jemand beim "Impfzertifikat" weiterhelfen könnte, fragen wir. In der Nacht gegen 3 Uhr bekommen wir eine Antwort: "Guten Tag, haben Sie noch Interesse an einer Impfung? Würde dann alles vor Ort ablaufen, haben unsere Apotheke. Bei weiteren Fragen einfach anschreiben."

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3. Das Telefonat

Wir werden sofort hellhörig: Eine persönliche Übergabe vor Ort? Das ist neu. Wir schreiben dem User und fragen, wie genau das ablaufen würde. Nach einigen Nachrichten bietet der User ein anonymes Telefonat über Telegram an, um die Details zu klären. Wir stimmen zu. Das Telefonat dauert ca. fünf Minuten. Der User ist der Stimme nach ungefähr 25 Jahre alt und spricht hochdeutsch. Er komme aus Köln und arbeite dort mit einer Apotheke zusammen, erzählt er uns. Wir sollen ihm unsere Daten schicken und einen Tag zur Übergabe vereinbaren. Dann träfen wir uns vor der Apotheke in Köln mit ihm und er übergebe uns das gefälschte gelbe Impfheftchen. Mit diesem gingen wir dann in die Apotheke, die in den Plan involviert sei. Dort bekämen wir den QR-Code ausgestellt.

Bezahlen sollen wir in bar: 250 Euro für alle drei Impfungen zusammen. Wir geben uns verunsichert, sagen, dass wir Angst vor den Behörden haben. "Keine Sorge, wir kennen da schon die richtigen Leute. Das dauert zwei bis drei Minuten, wir machen das schon länger." Auf unsere Frage, wie oft er das schon so gemacht habe, sagt er: "So 400 bis 500 Mal vielleicht." Wer gleich mit zwei Personen zum "Impfen" kommt, kriegt einen Rabatt auf den Preis. "Sie bekommen Ihre Freiheit zurück", sagt der mutmaßliche Betrüger.

So verbleiben wir. Zu einer Übergabe kommt es nicht. Als wir uns einen Tag lang nicht mehr auf seine Nachrichten melden, löscht er den gesamten Chat und ist für uns wieder in der Anonymität Telegrams verschwunden.

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Was sagt ein Gelsenkirchener Apotheker dazu?

Wir sprechen mit Apotheker Markus Sommerfeld. Er ist Chef der Bezirksgruppe Gelsenkirchen des Apothekerverbands Westfalen-Lippe und stellt regelmäßig die QR-Codes des europäischen Impfzertifikats in seiner Apotheke in der Altstadt aus. Auch bei ihm kämen regelmäßig Leute in die Apotheke, die mit gefälschten Impfpässen versuchten, sich einen QR-Code ausstellen zu lassen. Er kritisiert vor allem die fehlende Fälschungssicherheit der gelben Impfpässe.

"Wir haben bei Geldscheinen und Personalausweisen Fälschungssicherheit. Aber das sind ja wirklich einfach nur gelbe Ausweise, die man überall kaufen und mit einem Kugelschreiber ausfüllen kann. Das ist im Grunde genommen ein Witz."
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Deshalb fordert er ein allgemeines Impfregister. Wenn ihm ein möglicher Betrug auffällt, ruft er die Polizei und schreibt sich die Daten der Personen auf. Aber spätestens wenn der QR-Code erst einmal erteilt ist, haben Personen, die sich niemals gegen Corona haben impfen lassen, freien Zutritt in Restaurants, Geschäfte und Kneipen. Und das alles meist komplett unter dem Radar der Sicherheitsbehörden.

"Eigentlich bräuchten wir eine deutschlandweite Datenbank, aus der man ersehen kann, ob die Leute geimpft sind oder nicht. Dass man sich da einfach melden und sagen kann: "Wir haben hier einen Fall - ist der tatsächlich geimpft oder nicht?" Aber das geht wahrscheinlich nicht aus datenschutzrechtlichen Gründen. Da läuft uns der Datenschutz leider etwas in die Hacken. Dadurch sind Fälschungen Tür und Tor geöffnet."
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Unser Fazit

Es ist für uns erschreckend einfach gewesen, ohne Vorkenntnisse über Telegram an Betrüger zu kommen. Mit einem waren wir kurz vor einer persönlichen Übergabe des gefälschten Impfpasses in Köln. Die Fälscher handeln selbstsicher und ohne Druck von den Behörden - geschützt durch die Anonymität im Internet. Dabei brauchten wir zum Aufspüren dieser Betrüger lediglich ein Handy mit Internetverbindung und Telegram-App. Bleibt zu hoffen, dass sich auch die Strafverfolgungsbehörden dieser Schattenwirtschaft annehmen und etwas dagegen tun. Denn aktuell liegt die Verantwortung auf den Schultern von Apothekern, die die Fälschungen wegen fehlender Sicherheitsmerkmale kaum erkennen können. Und am Ende betrügen die Impfpass-Fälscher nicht nur sich selbst und ihre Kunden, sondern auch einen großen Teil der Gesellschaft, der sich seit über zwei Jahren einschränkt, um die Pandemie in den Griff zu bekommen.

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